„Was ist Filk?“ von Ju Honisch

© Juliane Honisch, erschienen in „Der Folker“, Ausgabe Nr. 1/99

FILK ist kein Druckfehler, sondern eine Musikgattung. In Deutschland, wo man sich mit „Subkultur“ zumeist ein wenig schwer tut, ist dieser Bereich jedoch kaum bekannt, obwohl es ihn schon seit ca. 30 Jahren gibt. Ob der Name nun – wie manche behaupten – durch einen Druckfehler entstanden ist oder ob es sich um einen Wortverbund von „Folk“ und „to filch = klauen“ handelt, ist längst nicht mehr zu ergründen. „Klauen“, oder sagen wir es freundlicher, „leihen“ war zumindest in der Anfangsphase des FILK die übliche Art und Weise, an Melodien zu kommen.

Entstanden ist FILK innerhalb der Fantasy- oder Science Fiction Szene, der besonders in den USA eine große Anzahl von Menschen angehören. Auf Treffen, sogenannten „Conventions“, schrieben die musikalischeren Fans auf bekannte Folkweisen Textparodien, die mit Science Fiction oder Fantasy zu tun hatten. Meist spät in der Nacht sammelten sich gitarrenbewehrte Liebhaber von Folk und SF und machten sich lautstark unbeliebt.

Inzwischen hat sich FILK erfreulicherweise weiterentwickelt, auch wenn er immer noch unter dem Anfangsimage eines wüst klampfenden Dilettantismus‘ leidet. Zwar gibt es sie noch, die Parodisten, die auf bereits bestehende Melodien zurückgreifen, doch die meisten FILKer sind inzwischen von reinen Textern auch zu Komponisten geworden.
Die schiere Menge der Lieder und Balladen ist dabei kaum zu bewältigen. Es ist üblich geworden, Sampler-Tapes von allen Treffen herauszugeben, wobei – zugegeben – Vollständigkeit ein größeres Kriterium ist als künstlerischer Anspruch oder technische Finesse. Viele versuchen sich an hausgemachten Kassettenproduktionen oder geben Büchlein mit ihren Texten im „Selbstverlag“ heraus , die dann auch wieder nur in der Insider-Szene der „ FILKing Community“ Absatz finden.

Generell spielt der Text in einem „ FILKsong“ eine größere Rolle als die Melodie. Hier wird in guter bardischer Tradition meist eine ganze Geschichte erzählt, eine Meinung vertreten oder eine Vorlage (Literatur, Film oder Fernsehserie) wortgewandt veralbert oder gefeiert. Eine Folge davon ist, daß FILK echte Zuhörer braucht. Als Hintergrundberieselung taugt FILK nur in den seltensten Fällen, denn wer dem Text nicht lauscht, der versäumt die Hauptsache.
Die Entwicklung der letzten Jahre in den USA hat uns etwas ungemein seltsames beschert, nämlich den professionellen FILKer. Meist sind dies „Zwitterwesen“, die aus der Folk-Szene stammen, Science Fiction oder Fantasy mögen und so FILK als persönliche Ausdrucksform gefunden haben. Ob man sich dann als FILK er oder einfach nur als Liedermacher mit Hang zu alten Sagen und zur Phantastik bezeichnet ist im Grunde schon selbstgewählt. Eine Loreena McKennitt wird von den FILKern bisweilen zur Szene gerechnet, sieht sich selbst aber keinesfalls als FILKerin.
Offen zum FILKertum bekennen sich trotz des damit eventuell verbundenen Imageverlustes inzwischen einige Profimusiker, von denen hier ein paar vorgestellt werden sollen.

Heather Alexander spielt Fiddle im irischen Stil. Sie schreibt eigene Lieder mit zumeist phantastischem Inhalt, die sie mit Gitarre, Fiddle oder auch einmal Bodhran begleitet, in der besten Minstrel- oder Spielleute-Tradition. Ihre starke Altstimme paßt gut zu den teils romantischen, teils spannenden Liedern. Beson-ders ein-drucksvoll ist ihre Bühnenpräsenz und ihre Ausstrahlung einer stolzen, wilden und rotschöpfigen „Highland-Queen“. Manchmal steht neben ihr ihre Adoptivtochter auf der Bühne, die die Geschichten der Lieder in Gehörlosenzeichensprache übersetzt.

Discographie (Auszug)
· Midsummer,
· Life’s Flame (Live)
· Wanderlust
· Heather Alexander, Live!
· Midsummer
(zu beziehen bei: Sea Fire Productions, 2811 Briarwood Ct. N., Puyallup, WA 98374, USA, e-mail: seafire@teleport.com, Homepage: www.heatherlands.com )

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Auch Meg Davis kommt aus der irischen Musikecke. Die ausgezeichnete Gitarristin und beneidenswert gute Sängerin interpretiert jedoch ihre eigenen Lieder noch ausdrucksstärker als alte irische oder schottische Balladen. Ihre Themen reichen vom Märchen, Sagen und Seemansliedern (u.a. von De Dannan gespielt) bis hin zu einem Zyklus über „Alice im Wunderland“. Ihre Lieder sind manchmal zart, manchmal witzig und manchmal auch sehr romantisch.

Discographie (Auszug):
· The Music of Wonderland
· Captain Jack and the Mermaid
· Swing the Cat
· Dreams of Light Horses
· By the Sword
· Meg Davis Live at Dennos
· The Claddagh Walk

(Zu beziehen bei: Leelanau Heritage Arts, 1069 Newcastle Drive, Cincinnati, Ohio 45231-3623, USA)

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Kathy Mar ist im allerbesten Sinne ein echtes „Blumenkind“ der 70er Jahre. Ihre Lieder und der Stil, in dem sie sie singt und begleitet, erinnert an die gute alte Zeit der „Protestsänger“, ist ausdrucksstark und klar. Hier ist viel zeitgenössische Kritik zu finden, verpackt oft genug in eine Rückschau aus einer fiktiven Zukunft oder in eine phantastische Parabel. Aber auch sehr persönliche Lieder zeigen einem eine Frau mit ebenso deutlichen wie

interessanten Ansichten und einer ganz und gar nicht verstaubten „Make Love not War“ Philosophie.

Discographie (Auszug):
· Songbird
· Made by Magic
· Woad Warrior (Sampler)

(Homepage: www.xocolatl.com/kathy )

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Avalon Rising ist der Name nicht nur der Band, sondern auch der CD. Die Bandmitglieder kommen aus so unterschiedlichen musikalischen Richtungen wie der mittelalterlichen und Renaissancemusik, der Klassik und des Folk. Avalon Rising versteht es, diese verschiedenen Elemente interessant miteinander zu verbinden. Bandmitglieder sind: Margaret Davis (Gesang, Harfe, Flöten) Kristoph Klover (Gesang, Gitarre, Mandola), Deirdre McCarthy (Percussion, Gesang) Beth Milne (Bass, Horn). Darüber hinaus kommen noch Bouzouki, Concertina, Fiddle und Cello von „Gastmusikern“ zum Einsatz.

Discographie (Auszug):
· Avalon Rising
· The Starlit Jewel

(zu beziehen bei: Flowinglass Music, Homepage: www.flowinglass.com )

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Tom Smith ist einer der witzigsten Texter der FILK-Szene. Treffende Persiflagen beherrscht er ebenso wie das gefühlvollere Genre. Die warme Baritonstimme ist wandelbar und schafft es gekonnt, wo nötig auch mal wie Elvis oder Kermit the Frog zu klingen. Auf der Gitarre versteht Tom Smith von Folk über Blues bis Rock sein Handwerk. Mit abstruser Phantasie und Freude an sprachlichen Feinheiten beschreibt z.B. einfühlsam und witzig er die persönlichen Probleme eines widerwillig jungfäulichen Superman oder die des Zeichentrick-Kojoten auf der erfolglosen Jagd nach dem Roadrunner.

Discographie (Auszug):
· Domino Death
· Who let him in here
· Tom Smith Plugged
(Zu beziehen bei: Pretzel Productions, 2232 S. Main Street, #424, Ann Arbor, MI 48103, USA; Homepage: www.tomsmithonline.com )

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Wie immer bei Produkten einer Subkultur ist der Zugriff darauf für „Outsider“ nicht einfach. Von der Musikindustrie gänzlich ignoriert – und im Grunde auch froh darüber – vermarkten FILKer ihre Tonträger selbst. Will man sie erwerben, so stehen einem nur amerikanische Versandhändler zur Verfügung (z.B. Random Factors, 3754 W. 170th St., Torrance, CA 90504-1204, U.S.A. e-mail: creasey@worldnet.att.net).
In unseren Breiten, wo in den Köpfen der Menschen eine rigide Unterscheidung zwischen E-Kultur, U-Kultur und Subkultur stattfindet, ist die Neigung, alles Romantische als Kitsch und alles Witzige als oberflächlich abzutun recht groß. Vielleicht sind die FILKer hier deshalb so ein verschwindend kleines Häufchen? Aber es gibt sie – im Herbst jeden Jahres finden auch in Deutschland größere Treffen statt (FILKContinental)

Trotz alledem ist FILK noch immer amateurdominiert. Eine eherne Regel auf den Treffen besagt, daß absolut jeder für seine Lieder ein Forum findet, sei er brillant, mittelmäßig oder eigentlich eher daneben. Hier wird nicht gebuht oder gepfiffen, und die Tomaten bleiben auf dem Hamburger. Vielmehr gilt es, andächtig zuzuhören und tapfer zu applaudieren, auch wenn es bei dem einen oder anderen Interpreten auch mal ein bißchen schwer fallen mag.
Hintergrund für diese so ungewohnt tolerante Haltung ist, daß es eben die Texte sind, die im Mittelpunkt stehen, und nicht die Interpretationen – wobei sich allerdings jeder Zuhörer darüber freut, wenn der Interpret auf der Bühne sein Handwerk versteht. Die Texte sind jedoch oft genug Ausdruck sehr persönlichen Empfindens. Wer Science Fiction und Fantasy mag, der genießt die kleinen Fluchten, die diese Genres bieten. Der Respekt vor dem kreativen Eskapismus des Nächsten ist Grundvoraussetzung für die Offenheit, mit der Träume oder Gefühle in FILKsongs umgesetzt werden.

Sie sind eben ein wenig anders, die FILKer, so wie auch ihre Musik ein wenig anders ist. Schwer einzuordnen in ein Genre-Raster sind nicht nur die Lieder, sondern oft auch die Liedermacher. So ist auf FILK-Cons eine erstaunlich hohe Anzahl von sogenannten Minoritaten oder Randgruppen zu finden, Menschen, die nicht in DIN-genormte Vorstellungen physischer oder psychischer Art passen, oder wie ein amerikanischer FILKer es einmal ausgedrückt hat „Square pegs in round holes“ – Vierkantstecker in einer Welt von runden Bohrungen.

Kleines Filkobular:
trufilk = Lied auf geborgte bereits bestehende Melodie
ose = allzu triefend, über-romantisch
fandom = Gesamtgemeinschaft all jener, die sich aktiv mit Science Fiction oder Fantasy auseinandersetzen
the fen = Angehörige des Science Fiction-, Fantasy- oder Filk -Fandoms
fannish = mit Fandom zu tun habend, fast bedeutungsgleich mit „kultig“
neo = Neuankömmling im Fandom
con = Abk. von „Convention“ – organisierte Wochenendtreffen von aktiven Fen
mundane = Mensch außerhalb des Fandoms